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Bedroht TTIP als Trojanisches Pferd Europas Kulturförderung? Gegner, wie hier vor dem österreichischen Parlament, glauben das und protestieren gegen das transatlantische Handelsabkommen.

Foto: reuters/HEINZ-PETER BADER

Wien/Brüssel - Welche Position die verstorbenen Philosophen Theodor W. Adorno und Max Horkheimer dieser Tage im Detail einnehmen würden, ist fraglich. Nur Schweigen wäre für die Begründer der Frankfurter Schule wohl keine Kategorie. Zu sehr ähneln die Schreckensszenarien rund um das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP ihren Ausführungen aus den 1940er-Jahren. Schon damals warnten die Denker in ihrer Dialektik der Aufklärung vor der überbordenden "Kulturindustrie", also dem intellektuellen Austrocknen der Kulturproduktion, angesichts stärker werdender Profitorientierung.

Kultur ist keine Ware, lautete die Formel, auf die sich halb Europa im Anschluss an Adorno und Horkheimer ab den 1960er-Jahren verständigen konnte. Das Ergebnis: sukzessiver Ausbau staatlicher Fördersysteme, um auch unrentablen Kultureinrichtungen ein Überleben zu sichern.

Der ideologische Graben zu den USA hingegen ist von jeher groß. Staatliche Kultursubvention hatte im Land der freien Märkte stets den Geruch sozialistischer Indoktrination. Finanziert wurde weitgehend privat - und produziert für den Weltmarkt. Ein Blick auf die Filmbranche diesseits und jenseits des Atlantiks verdeutlicht die strukturellen Unterschiede: Blockbuster und Autorenfilm sind ungleiche Geschwister.

Eingriffe in freien Wettbewerb

Der europäische Film - genauer "audiovisuelle Medien", worunter auch öffentlicher Rundfunk fällt - ist der bisher einzige kulturelle Bereich, der auf Betreiben Frankreichs aus den TTIP-Verhandlungen ausgenommen wurde. Den Kritikern und Gegnern des Abkommens reicht das nicht. Denn im Prinzip stellt jede Regelung oder Förderung, die nationales Kulturschaffen begünstigt, einen Eingriff in den freien Wettbewerb dar. Das reicht von der Buchpreisbindung (die Österreich erst 2014 auf E-Books ausweitete) über Theater- und Museumssubvention bis zum Musikschulwesen.

Solche Marktverzerrungen wären nach derzeit geplanten Investorenschutzklauseln vor internationalen Schiedsgerichten oder einem noch zu gründenden Handelsgerichtshof einklagbar. Es wäre also denkbar, dass ein Konzern wie Amazon europäische Staaten wegen ihres gesetzlich festgelegten Buchpreises verklagt und Recht bekommt.

Ein weiterer Kritikpunkt, den etwa der Deutsche und Österreichische Kulturrat, aber auch die Unesco anmerken, ist grundsätzlicher Natur und hat mit der Konstruktion des Abkommens zu tun: "Bislang wurde in EU-Freihandelsabkommen in Positivlisten explizit aufgezählt, welche Bereiche liberalisiert werden", erklärt Yvonne Gimpel von der Unesco, "bei TTIP hingegen sollen Negativlisten zur Anwendung kommen. Hier muss definiert werden, welche Bereiche nicht erfasst sind. Das heißt, was nicht explizit als Ausnahme verankert wird, ist liberalisiert - nach dem Motto 'List it or lose it'", so Gimpel weiter.

Künftige Entwicklungen nicht vorhersehbar

Diese Vorgangsweise sei laut Kritikern besonders gefährlich, denn eine nachträgliche Herausnahme "vergessener" Bereiche sei nicht möglich, und etwaige künftige Entwicklungen (zum Beispiel im Digitalbereich), seien nicht vorhersehbar. Das würde den Staaten auch in Zukunft jeden Regulierungsspielraum nehmen.

Die seit mehr als einem Jahr anhaltenden Protestrufe der europäischen Kulturfunktionäre scheinen an den EU-Politikern indes nicht ganz vorbeigegangen zu sein: Eine in Vorbereitung befindliche Resolution des EU-Parlaments an die Europäische Kommission soll eine Herausnahme der gesamten Kulturagenden aus den Verhandlungen erwirken.

Die österreichischen Parlamentsparteien haben sich schon 2014 auf Initiative des grünen Kultursprechers Wolfgang Zinggl dafür ausgesprochen und einen einstimmigen Beschluss gefasst. Man beruft sich auf das Unesco-Übereinkommen zum Schutz und zur Förderung der kulturellen Vielfalt, dem über 100 Staaten sowie die Europäische Union beigetreten sind. Die USA, die zwischenzeitlich ganz aus der Unesco ausgetreten waren, haben das Übereinkommen bis heute nicht unterzeichnet.

Umstrittene Schiedsgerichte

Genau das fordert ÖVP-Kultursprecherin Maria Fekter im Gespräch mit dem STANDARD. Ihr Parteichef, Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, der TTIP für Österreich verhandelt, stellt zumindest klar, "dass bestehende und künftige Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung des kulturellen Sektors durch TTIP nicht beeinträchtigt werden dürfen."

Auffassungsunterschiede gibt es hinsichtlich der geplanten Schiedsgerichte: Maria Fekter sieht darin vor allem kleinere Unternehmen geschützt. SPÖ und Grüne befürchten, dass diese nur den multinationalen Großkonzernen nützen würden.

Die Kulturfunktionäre indes machen weiter mobil und wollen den morgigen Welttag der kulturellen Vielfalt mit Konzerten und Kundgebungen zum Tag des Protestes gegen TTIP erklären. Das größte Konzert steht aber in Brüssel an: Die Resolution des EU-Parlaments wird im Juni verabschiedet. (Stefan Weiss, 20.5.2015)